Vorzeichen umkehren

Clever und klug sind die Menschen. Schon immer, seit jeher und wohl auch zukünftig. Versprechen sie sich Gewinn und Vorteil, aktivieren sie ihre Fähigkeiten – und sie tun gut damit. Um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sollten sie nicht mehr eigene Kräfte einsetzen als tatsächlich erforderlich. Vor allem, wenn es um schwer erneuerbare Kräfte geht.

Bei Einsatz und Verwendung fremder Kräfte für eigene Ziele ist Homo sapiens allerdings gar nicht mehr so zurückhaltend. Die Chancen, fremde Kräfte zu nutzen, führen zu neuen Überlegungen und Verhalten:

  • Die eigenen Kräfte reduzieren sich auf den Aufwand zur Gewinnung und maximaler Nutzung fremder Kräfte.
  • Wenig eigener Aufwand zur Beherrschung und maximalen Ausschöpfung fremder Kräfte erhöht den Gewinn.

Und so zieht sich die Spur wirtschaftlicher Beherrschung vieler Menschen durch wenige Mitmenschen durch die Geschichte. Es ist vor allem eine Blutspur vom antiken Sklavenwesen über Leibeigenschaft, vorindustrielle Manufakturen mit Verlagswesen hin zur industriellen Produktion an Fließbändern oder in chinesischen Jeansfärbe-Anlagen.

Den „Faktor Arbeit“ billiger machen! Stückkostenreduzierung durch Anpassung menschlicher Arbeitsbienen an technisch-funktionale Abläufe  rentabler  Serien – und Massenproduktion. Komplexe Arbeitsabläufe werden zergliedert, analysiert, verfeinert und auf ihre Kostenseite untersucht.

Wie billig wird der wahre Mensch als Ware Mensch.

Ob Haare kämmen am zu pflegenden Menschen oder Auswechseln von Ersatzteilen am Auto – Listen, Richtsätze geben für einzelne Handgriffe knappe Zeiten vor. Zeit ist kostbar, zerlegt in Bruchteile werden unsere Arbeitsleistungen dem Controlling unterworfen.

Ausgefeilte Computerprogramme analysieren die Vorgänge der Leistungserbringung, berechnen selbst den Abrieb am Radiergummi und die dadurch entstehenden Kosten im Verwaltungsablauf.

Weitab vom konkreten Leistungsgeschehen liefern diese Programme den unternehmerischen Managern, den personalpolitischen und firmenstrategischen Entscheidern die Entscheidungsvorlagen im Kostensenkungswettlauf.

Doch nur einmal angenommen, wir würden der menschlichen Arbeit wieder neu ihren angestammten Wert zubilligen. Lieferten dann nicht genau diese Kostenanalyse-Programme präzise Berichte zum Wertschöpfungsbeitrag der kleinsten wirtschaftlichen Einheit – des arbeitenden Menschen?

Jeder im Produktionsablauf Tätige, jede Vertriebs- Verkaufs- und Verwaltungskraft, freie Mitarbeiter, Erwerbsabhängige und unternehmerisch Tätige – selbst die hoffegende Hilfskraft, wer alles in der Wertschöpfungskette durch Arbeit seinen Beitrag bringt, ist in seinem individuellen Beitrag darstellbar.

Es ist eine Wertentscheidung, eine Frage des Vorzeichens, die Daten der Wertschöpfungskette als „Kosten“ oder als „Leistungsbeiträge“ zu definieren.

Als „Wertschöpfungsdiagnose“ entstünde ein Instrument sachgerechter Entlohnung aller Beteiligten. Dem antiquierten(?) Anspruch eines Aristoteles, Thomas von Aquin, Karl Marx oder Johannes Kleinhappl (welche Koalition!) vom „gerechten Tausch der Leistungen im gesellschaftlichen Wirtschaften“ kann mit moderner Datenerfassung entsprochen werden – wenn wir dieses wollen!

Die Entscheidung, Mitmenschen zum eigenen Vorteil wirtschaftlich zu beherrschen, ist nicht gottgewollt. Diese Herrschaftsform wurde kulturell – von Menschen – entwickelt.

Das Ideal des gerechten Tausches im gesellschaftlichen Wirtschaften durch den Profitvorbehalt des wirtschaftlich Mächtigeren zu ersetzen, ist eine menschliche Entscheidung – historisch gewachsen, und doch umkehrbar.

Clever und klug sind die Menschen – sie suchen ihren Gewinn und Vorteil. Haben sie einmal begriffen, wie viel mehr Gewinn ihnen aus solidarischem Verhalten zufließt, werden sie ihr Verhalten neu orientieren.

Clever und klug sind die Menschen – sie wissen um die Unterschiede erbrachte Leistungen im betrieblichen Personalverbund. Sie akzeptieren unterschiedliche Entlohnungen, wenn sie die Leistungsunterschiede widerspiegeln.

Das neue Denken greift schon Bahn,

  • dort, wo die Menschen im Gemeinwohl ihren individuellen Vorteil entdecken
  • dort, wo sie statt Wettbewerb die Resonanz als Gravitationsgesetz des Sozialen erfahren
  • dort, wo arbeitende Menschen sich im Respekt vor den je eigenen Leistungsbeiträgen begegnen
  • dort wo Menschen sich für den Grundton „Liebe“ entscheiden.

Text: Josef Hülkenberg, Frei zu lieben (S.90), TREDITION 2012