Ahmed, die Zeit und das Glück

Pünktlichkeit ist derzeit nicht das große Thema – wo doch so viele Veranstaltungen nicht stattfinden. Ein Thema ist sie allerdings häufig, wenn jemand von einer Kultur in eine andere kommt. So wie der Ägypter Mossad Moussa, der inzwischen schon lange in Bocholt lebt. Im Rahmen der Interkulturellen Projektwerkstatt der VHS hat er eine Geschichte mit autobiographischen Anleihen geschrieben, in der es um Pünktlichkeit geht. Und es zeigt sich, dass sie durchaus aktuell ist in einer Situation, in der wir gerade Zeit neu erleben.

„Ahmed, die Zeit und das Glück“ ist eine schön und spannend erzählte Geschichte zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Erinnerung und Erwartung, zwischen Traum und Realität. In drei Teilen veröffentlichen wir sie hier – mit Fortsetzungen an den beiden folgenden Tagen – als einen angenehmen Zeitvertreib. Die Illustrationen besorgte Achim van Nörden. Copyright für Text und Bild beim Autor.

 

AHMED, DIE ZEIT UND DAS GLÜCK (Teil 1)

Ahmed war damals 26 Jahre alt. Er war in Alexandria mit orientalischen Bräuchen und Traditionen aufgewachsen, hatte die High School besucht und auf einem dänischen Kreuzfahrtschiff angeheuert. Dort war er als Kabinen-Steward für die Betreuung der Passagiere zuständig. Der Kontakt mit Menschen verschiedener Nationalitäten und Sprachen machte ihm Freude, und die Kollegen und Kolleginnen der Crew, die ebenfalls aus unterschiedlichen Ländern kamen, schätzten ihn.

Das Schiff mit dem Namen Dana Sirena verkehrte zwischen Ägypten, Griechenland und Italien. Die einwöchige Tour führte stets von Alexandria über Heraklion und Patras nach Ancona und zurück. Immer dienstagmorgens um 6 Uhr legte es in Alexandria an, abends um 19 Uhr desselben Tages fuhr es wieder ab. 13 Stunden hatte Ahmed Zeit, um seine Familie, Freunde und alte Schulkameraden in Alexandria zu treffen. Stets brachte er ihnen Geschenke aus Italien und Griechenland mit. Und er nutzte die Gelegenheit, um einige Kleidungsstücke in einer Reinigung abzugeben, die er dann eine Woche später wieder abholte.

An einem solchen Dienstag, als das Schiff bei schönstem Sommerwetter den Hafen von Alexandria anlief, saß Ahmed auf dem Deck und betrachtete das blaue Meer. Der Himmel war klar. Die mediterrane Brise blies ihm ins Gesicht und streichelte seine Haut. Er sog die Luft mit ihren winzigen Salzwasser-Tropfen ein, die ihn und die Reisenden an Bord empfing. Ahmed ließ seinen Blick über die Wahrzeichen seiner Stadt schweifen. Vergnügt lächelte er.

Die Fahrgäste verließen die Dana Sirena in Richtung Stadt, um die Sehenswürdigkeiten zu betrachten, die Alexander der Große seit 332 vor Christus der Nachwelt hinterlassen hat. Wie gewöhnlich besuchte Ahmed seine Familie und Freunde. Danach blieb ihm noch Zeit, den schönen Sommertag für sich zu genießen. Ihn zog es an einen besonderen Ort, in den Palastgarten des früheren ägyptischen Königs Faruk, der hier bis 1952 geherrscht hatte. Von dort bot sich ein herrlicher Blick auf das Mittelmeer. Man konnte spazierengehen, frische Luft einatmen, sich vom Duft der leuchtend farbenfrohen Blüten betören lassen und den Symphonien der Vögel lauschen. Dies alles wollte Ahmed ganz für sich allein genießen. Und er wollte dabei in Erinnerungen schwelgen – an diese wunderschöne Stadt in der er geboren und aufgewachsen war und so viele Ereignisse erlebt hatte. Vier Stunden blieben ihm dafür, dann musste er wieder an Bord sein.

(Fortsetzung folgt)

Portrait von Ahmed

 

DANKE an Jochen Freund (Interkulturelle Projektwerkstatt VHS) für die Übersetzung und Versendung zur Veröffentlichung!