Auf Sinnwegen wandeln

Die Corona-Pandemie und die politischen Entscheidungen zum Schutz vor ungezügelter Ausbreitung und den Kollaps des Gesundheitssystems nötigen uns nicht nur die vielfältigen Einschränkungen von Freiheitsrechten auf. Sie eröffnen uns auch die Chance, unseren bisherigen Lebensstil und unser Konsumverhalten selbstkritisch zu prüfen. Diese Krise schafft ein Experimentierfeld, im sozialen Miteinander, in der Entfaltung gesellschaftlicher Kultur, im Umgang mit der Natur, aber auch in neuen, gemeinwohlfördernden Formen des Wirtschaftens neue Lebensqualität zu entdecken.

Auch die Erfahrung eingeschränkter Grundrechte kann unseren Sinn für diese Rechte vertiefen. Jeder Tag der Einschränkung verstärkt die Gefahr einer Gewöhnung und wird so zur Bedrohung der Demokratie. Doch jeder Tag Einschränkung kann auch zu bewusster Verantwortung für diese Rechte und ihrer Nutzung führen.

Es gilt also, viel zu besinnen, damit es mit dem Abklingen der Pandemie und ihrer Bedrohung nicht einfach zu einem RESET bisherigen Verhaltens oder gar zu einem NUN ERST RECHT incl. Nachhol-Gier kommt.

Die Anlage von SINNWEGEN kann dabei helfen, solcher Fallen zu entgehen und uns dauerhaft in der gemeinsamen Entwicklung neuen Verhaltens zu stärken.

Zudem sind SINNWEGE eine Möglichkeit, „die Stadt“, also die Bürger, in Bewegung bringen, wie es Prof. Ingo Froböse zur Bocholter Auftaktveranstaltung der dritten Phase des Wettbewerbes ZUKUNFTSSTADT 2030+ empfahl.

SINNWEGE schaffen neuen Spaziergrund für heimische und fremde Menschen. Es entstehen sinnige, sinn(volle)  Wander- und Spazierwege, die verschiedene Stadtquartiere und Stadtteile miteinander verbinden.

Sie regen an zum Sinnen, Denken, Rätseln, Erheitern und Erleben. Heimische Sinnsprüche und Mundarten in ausgediente Grabsteine gehauen, halten die regionale Kultur lebendig.

Geistiger Vater der Sinnwege ist der Rendsburger Erfinder und Autor Holger Thiesen. Uns beide verbindet u.a. die Phantasie eines die Regionen überspannenden Sinnwege-Netzes.

Holger Thiesen erfuhr zufällig, dass ausgediente Grabsteine nicht wieder als Grabschmuck verwendet werden dürfen. Sie sind für die Steinmetze in der Regel nutz- und wertlos. Sie werden zerstört, geschreddert und als Granulat im Straßenbau verarbeitet. Warum also nicht diese wertvolle Ressource neuen Zwecken zuführen? Die Rückseiten sind doch frei und können neu gestaltet werden. Die Steine stehen in Rendsburg kostenlos zur Verfügung, ihre sinnvolle Verwendung eröffnet ein Förder- und Ausbildungspotential für das Steinmetz-Handwerk.

Kosten der neuen Gravuren und eventuell entstehende  Gebühren behördlicher Genehmigungsverfahren

übernehmen die Stifter einzelner Sinn-Steine. Privatpersonen wie auch Unternehmen beteiligten sich am Ausbau der 3 bzw. 5 km langen Sinnwege entlang der Uferwege des Nord-Ostsee-Kanals.

Die Sinnsteine werden die Steine entlang einer geplanten Wegstrecke in den Boden eingelassen.

Dazu eignen sich

  • im öffentlichen Raum:
    • Seiten- oder Mittelgrün an Fuß- und Wanderwegen
    • Gehweg-Pflasterungen
    • Baumscheiben
  • im privaten Raum (öffentlich einsehbar):
    • Garagenauffahrten
    • Hauseingänge
    • Vorgärten

Die einzelnen Sinnwege werden durch die gleichzeitige Verlegung und rituelle „Ent-Deckung“ der Anfangs- und Schlusssteine markiert. Nach und nach wird der Weg bereichert durch die Steine der Stifter.

Es ist sinn-voll, Wege zu wählen, die markante Punkte der Stadt, der Region oder der Landschaft verbinden.

Nur mal angenommen, auch in Bocholt fänden sich Steinmetze und Stifter, um solche Sinnwege anzulegen.

Für ein Bocholter Sinnwege-Netz bietet sich an, den Marktplatz als zentralen Ausgangspunkt zu wählen.

Innerhalb der Kernstadt würden Sinnwege einladen zu Spaziergängen durch die Quartiere zu attraktiven Adressen, z.B.:

  • ein Sinnweg entlang der Aa vom Strandbad (Ottilie) bis Lowick
  • ein Sinnweg durch die Giethorst (Jüdischer Friedhof) zum Stadtwald (StaLag – Wildgehege – Riphouse)
  • für weitere Phantasien ist jederzeit Platz.

Weiträumigere Sinnwege verbänden als Wanderwege die Dörfer im Stadtgebiet untereinander und mit dem Zentrum.

Mit einem grenzübergreifenden Sinnweg im Achterhoek könnte die Europastadt Bocholt zum 800-Jahres-Stadtjubiläum 2022 den ersten europäischen Sinnweg eröffnen.

Phantasie braucht Raum und Ruhe – beides bietet uns die aktuelle Entschleunigung des gesellschaftlichen Lebens.

Text und Foto: Josef Hülkenberg

 

Lieber Josef Hülkenberg, vielen Dank dafür!