Folge 6
… was damals Abstand für mich bedeutete. Auf den exakten Abstand kam es an, wenn wir Kinder unsere Domino-Steine so aufstellten und ausrichteten, dass sie sich nach dem Antippen des ersten Steines in einer Art Kettenreaktion der Reihe nach gegenseitig zu Fall brachten. Sich in der Schule in der hintersten Bank zu verstecken hatte auch was mit Abstand zu tun. Wichtig war das Wort vor allem, wenn es um Fußball ging, wenn ich nach einem Spiel mit meiner Jugendmannschaft in der Zeitung die Tabelle betrachtete und feststellte, wo wir standen, wie weit es für uns bis zur Spitze oder bis zum Abstieg war.
Abstand wahren – das war der gut gemeinte Rat oder auch die Erwartung meiner Eltern, wenn sie sich um meinen Umgang mit bestimmten Mitmenschen kümmerten. Oft eine schwierige Situation für mich.
Danach haben Abstände eigentlich erst wieder eine Rolle gespielt, als ich Autofahren lernte. Oder beim akkuraten Aufstellen in Reih und Glied bei der Bundeswehr. Vom Zeilenabstand beim Schreiben mal abgesehen.
Nähe war mir wichtiger, was mir spätestens bewusst wurde, als die Party- und Tanzschulzeit begann. Allerdings erfuhr ich auch, dass Nähe weniger angenehm sein konnte, in der U-Bahn etwa. Und dass ich anderen zu nahe treten und ebenso ungewollt in eine bestimmte Nähe gerückt werden konnte. Dass mir Ereignisse, Schicksale nahe gingen. Und dass ich manchmal Abstand brauchte.
Abstand kann nützlich, wohltuend, sinnvoll sein, habe ich mit der Zeit gelernt. Aber wichtig war stets, dass Nähe möglich blieb. Meine Eltern haben mir Abstand nicht verordnet, sie haben ihn mir manchmal nahegelegt.