Pünktlichkeit ist derzeit nicht das große Thema – wo doch so viele Veranstaltungen nicht stattfinden. Ein Thema ist sie allerdings häufig, wenn jemand von einer Kultur in eine andere kommt. So wie der Ägypter Mossad Moussa, der inzwischen schon lange in Bocholt lebt. Im Rahmen der Interkulturellen Projektwerkstatt der VHS hat er eine Geschichte mit autobiographischen Anleihen geschrieben, in der es um Pünktlichkeit geht. Und es zeigt sich, dass sie durchaus aktuell ist in einer Situation, in der wir gerade Zeit neu erleben.
„Ahmed, die Zeit und das Glück“ ist eine schön und spannend erzählte Geschichte zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Erinnerung und Erwartung, zwischen Traum und Realität. In drei Teilen veröffentlichen wir sie hier – als einen angenehmen Zeitvertreib. Die Illustrationen besorgte Achim van Nörden. Copyright für Text und Bild beim Autor. Hier der zweite Teil.
ACHMED, DIE ZEIT UND DAS GLÜCK (Teil 2)
Schon das große Eingangstor zu dem Garten hatte etwas wahrhaft Königliches. Entspannt schlenderte Ahmed durch die malerische Gartenlandschaft, zwischen lieblich riechenden Blumen, und den beiden Palästen El Salamlek und El Haramlek von architektonischer Schönheit. An einer der stilvollen Holzbrücken hielt er inne und setzte sich auf eine Bank, von der aus er das fantastische Panorama des blauen Meeres genoss.
Das sich leicht bewegende Wasser reflektierte das Licht und spiegelte es mit jeder neuen, in ruhigem Rhythmus folgenden Welle in vielen Farben. Ahmed hörte die Wellen wie eine Stimme, die ihn rief, mit ihm sprach. Er fühlte, dass die Brise ihn berührte, ihn umarmte und sein Gesicht streichelte. Jede der vielen blitzenden Farben verband sich für ihn mit einer Erinnerung. Mit dem Rauschen des Meeres verschmolzen sie ineinander. Ahmed träumte, als eine Woge ausbrach und krachend gegen einen Felsen schlug. Jäh endeten seine schönen Träume und wichen einer einzigen ganz wirklichen Erinnerung, nämlich an sein Schiff und daran, dass es ganz bald abfahren würde.
Ahmed sprang auf, eilte zu seinem Auto und fuhr so schnell es ging zum Hafen. Er stellte den Wagen ab, griff seine kleine elegante Tasche und stieg aus. Vor ihm lag der große Platz, den er überqueren musste, um die Anlegestelle zu erreichen. Nur einige Hafenarbeiter waren dort, die Passagiere waren bereits alle an Bord. Er hörte das Tuten des Schiffes, das ganz da hinten zur Abfahrt bereit war. Er sah das kleine Lotsenboot, das sich schon bewegte, um dem Schiff den Weg aus dem Hafen zu weisen. Er spürte sein Herzklopfen, seine Finger wurden kalt, seine Schritte wurden größer und immer schneller, bis er rannte. Wie wunderschön hatte er geträumt, im Garten des Palastes, als die Wellen ihn eingelullt hatten. Und nun, wenn er nicht mehr rechtzeitig aufs Schiff gelangte, schwanden die Träume von seiner beruflichen Zukunft dahin, lösten sich in Luft auf. O, es waren betörende Bilder, Trugbilder, die ihm die Zeit gestohlen hatten.
„He, das ist Ahmed!“ Zwischen all den Passagieren, die auf dem Deck des Schiffes mit Blick auf die Lichter der Stadt Abschied von Alexandria nahmen, erkannte ein Seemann ihn. Aber es war zu spät. Der Matrose, der für das Schließen der Schiffstüren zuständig war, hatte seinen Job erledigt. Dreimal hintereinander ertönte die Sirene der Dana Sirena. Keuchend stand Ahmed am Kai, von dem sich das Schiff langsam löste. Dahinter sank die Sonne ins dunkelblaue Meer. Tränen schossen ihm in die Augen und liefen warm die Wangen hinunter.
(Fortsetzung folgt)
DANKE an Jochen Freund (Interkulturelle Projektwerkstatt VHS) für die Übersetzung und Versendung zur Veröffentlichung