Folge 4
… dass meine Eltern viel zu selten zuhause waren. Sie hatten damals den Mut, ein Einzelhandelsgeschäft zu eröffnen. Quasi aus dem Nichts, mit ganz viel persönlichem Einsatz. Für uns Kinder war ein Kindermädchen da, und unsere Mutter war redlich bemüht, ihre Kräfte zwischen Beruf und Haushalt aufzuteilen.
Familie fand auch später wesentlich bei den Mahlzeiten statt. Morgens in Eile, mittags mit Schweigepflicht für die Kinder, während unser Vater den Geschäftsbericht vom Vormittag vortrug, bevor er die verbleibenden Minuten der Mittagspause ungestört in seinem Ruhesessel verbrachte. Der Beginn des Abendessens verzögerte sich oft, weil unsere Eltern aus ihrem Geschäft später heim kamen als erhofft. Dann waren sie erschöpft und brauchten ihren ruhigen Feierabend mit Lesen, Fernsehen, eventuell auch Kartenspielen.
Uns blieb das Wochenende, das genau und unabänderlich durchstrukturiert war. Unter anderem mit Auto waschen, Aufräumen oder Gartenarbeit und Wannenbad am Samstag, Familienspaziergang im Grünen und Kaffeetrinken mit dem besseren Service am Sonntag.
Selten gab es mal eine Ausnahme. Kaum, dass nicht irgendeine Pflicht rief, dass nicht die Zeit drängte, dass wir einfach mal spontan Familie waren. Dass wir Kinder erzählen, plaudern, loswerden konnten, was mitzuteilen uns wichtig war. Und umgekehrt erfuhren wir Vieles nicht von unseren Eltern, das zu erfahren uns und der Familie gut getan hätte.
Einmal, ein einziges Mal, hat mein Vater sich die Zeit genommen, mir beim Fußballspielen mit meiner C-Jugend-Mannschaft zuzusehen. Ich war nicht unbedingt der große Torjäger, schon gar nicht aus der Distanz. An dem Tag aber habe ich einfach mal draufgehalten. Volley, mit vollem Körpereinsatz. Der Ball zischte in den linken oberen Torwinkel. „Donnerwetter!“ sagte mein Vater gerne, wenn er beeindruckt war. „Donnerwetter“ wird er vermutlich auch damals an der Seitenlinie gesagt haben, leise vor sich hin.
Später, als mein Vater Rentner war und endlich mehr Zeit hatte, war ich längst nicht mehr zuhause.