Folge  1

…dass ich damals schon Häuslebauer war. Ideengeber, Architekt, Konstrukteur und Maurer zugleich. Mit meinem Bruder betrieb ich eine Kleinstfirma, die gleichwohl die beeindruckendsten Bauwerke errichtete – vom Einfamilienhäuschen bis zur imposanten Londoner Towerbridge. Aus Lego-Steinen, auf dem Wohnzimmerteppich.

Einen exakten Bauplan hatten wir nicht. Auch keinerlei Ordnungssystem. Das Wort Improvisation zählte noch nicht zu meinem Wortschatz, aber wir verfuhren danach. Einer baute, der andere war der Handlanger – fürs Anreichen und Gegenhalten mit möglichst geschickten Fingern. „Einen roten Sechser“ oder „drei weiße Vierer“ lautete etwa die Order des Baumeisters an seinen Helfer, der daraufhin in einer ziemlich großen Holzkiste kramte und dabei jedes Mal ein ganz eigenes Geräusch irgendwo zwischen einem tiefen Ratsch und einem hohen Klick der in der Masse bewegten Plastikteile erzeugte, bis er die angeforderten Bausteine gefunden hatte.

Waren bestimmte benötigte Steine trotz intensiven Suchens nicht zu finden, musste kurzerhand umkonstruiert werden. Richtig knifflig wurde es, wenn das Dach eines Gebäudes geschlossen werden musste. Zum einen, weil das Gegenhalten durch die zur Dachspitze hin immer kleiner werdende Öffnung das richtige Fingerspitzengefühl erforderte. Zum anderen aber auch, weil wir oft und viel bauten und das Material dadurch derart abgenutzt war, dass die Steine nach dem Aufeinanderdrücken nicht mehr besonders fest hafteten. Unter diesen Umständen kam es nicht selten vor, dass das fast fertiggestellte Dach im letzten Moment einbrach. Dann und eigentlich nur dann stritten wir uns, gab einer dem anderen die Schuld an dem Malheur. „Du mit deinen Wurstfingern…“

In dieser Stimmung der Enttäuschung mochte man ausrasten und alles Aufgebaute niederreißen. Wirklich aufgegeben haben wir aber, glaube ich, nie. Wenn der Ärger verraucht war, haben wir nochmal neu angefangen. Und wenn wir es geschafft hatten, waren wir stolz. Auf unser Bauwerk, das ich manchmal mit meinem ersten, einfachen Fotoapparat auf Schwarzweißfilm bannte. Und ein bisschen auch auf uns.